Der Einladungsbrief und Fragebogen von 1699
Herausgegeben von Jon Mathieu und Simona Boscani Leoni, hallerNet 2019

Einladungs-Brief zu Erforschung natürlicher Wunderen, so sich im Schweitzer-Land befinden

Ruhmwürdig und glücklich war das Unternehmen der weit berühmten Königl[ichen] Gesellschafft in Engelland, da sie nach Anleitung des vornehmen und gelehrten Francisci Baconis Baronis de Verulamio, so wol Frömden als Heimschen, in Engelland wohnenden oder in Ost- und West-Indien reisenden beliebet und eingeschärpft, daß sie auf alles, was ihnen zu Wasser und Land, im Luft, Himmel, Erden und Gewächsen, Mineralien und Thieren möchte vorkommen, genaue Achtung geben. Dann wie danahen die natürliche Wüssenschafften in so gewaltiges Aufnehmen gerahten, auch was für herrliche Nutzen in die Politic, Medicin, und Oeconomie gebracht worden, ist weltkündig, und deßwegen unnöthig es weitläuffig darzuthun. Wann nun alle Liebhaber der natürlichen Wüssenschafften auch auf alle Sachen Achtung geben, welche in weit entlegnen Orten sich zutragen, wie vil mehr sol ein jeder in seinem eignen Vatterland, und wir in unserem, genaue Achtung haben auf alle diejenigen Begebenheiten, welche die Natur vorbringet, ja auß sonderbahrer Güte Gottes gegen uns reichlich darschüttet. Es gelte bey uns was dorten Ulysses außgesagt bey Arist[oteles] Oecon[omica] l[iber] I c[apitulum] VI. nihil suâ patriâ quamvis asperâ & incultâ videri dulcius. Es seye nichts angenehmer als das eigene Vatterland, ob es schon sonsten rauh und ungebauet lige. Außländische Leuth, so etwann durch unser Land reisen, sagen auß und wir bekennen, daß unser Land auch vom ersten Ansehen rauh und wild, aber darbey sollen jenne lehrnen, wie wir wüssen, daß es weder ungebauet, wüst und öd, nach in einem abschetzigen Winckel der Welt gesetzet, und da von der Natur seye abgelegt worden dasienige, was anderen Länderen were beschwerlich oder unnütz oder unnöthig gewesen. Leicht were es zuzeigen, daß in unserem Schweitzerland so vil und grosse Wunder und herrliche Gaaben der Natur sich finden, als man kaum anderstwo wird suchen oder finden können. Es wird sich diß klärlich sehen lassen, wann ich das von unserem Hochgelehrten und seligen H[er]r Wagnero angefangene Werck der natürlichen Beschreibung des Schweitzerlands werde mit Gottes des obersten Regenten der Natur, Hülff und gnädigem Beystand weiter außführen oder nach möglichsten Kräfften fortsetzen. Es ist dises Werck aber von so grosser Wichtigkeit, daß ich mir nicht kan versprechen etwas haubtsächliches außzurichten ohne viel anderer Beyhilff und auch ohne Verfliessung viler Jahren. Wann wir nur ansehen die erstaunliche Grösse unserer Alpen und einen kleinen Blick hinwerffen auf diejenigen verschiedenen Sachen so dorten sich befinden, und einem Gottsgelehrten, Arzet, Politico, Haußhalter, Künstler und Handwercksmann zuwüssen nothwendig sind, so wird sichs bald erzeigen, daß zu deren grundlichen Erforschung nothwendig seye Mit-Arbeit und Beyhülff Gelehrter, curioser und erfahrner Männeren des ganzen Schweitzerlands. Ich will hiemit unter gebührendem Respect und Ehrerbietigkeit gegen Oberen und Stands-Persohnen, und mit erforderlicher Freundlichkeit gegen gemeineren Privat-Persohnen angehalten und gebetten haben alle Hoch-Edle, ansehenliche, dem Vatterland wol gewogene und ersprießliche Herren, alle in allen Ständen gelehrte Männer, alle von Edlem Geblüth entsprossene special-Liebhaber der Jagden, ja auch alle, auch gemeinste Leuth, so mit der Natur viel umgehen und durch sie ihre Nahrung suchen, als da sind Fischer, Hirten, Sennen, Einwohner der Alpen, Baursleuth, Kräuter- und Wurtzengraberen, daß alle zu ihrem und des Vatterlands Lob allerhand Gattungen natürlicher Begebenheiten, oder Observationen von allen Orten her zusamen suchen, aufs wenigste dasjenige, was ihnen ohngefehr aufstosset oder umsonst zukommet, auch umsonst mitheilen, wann es ihnen so lieb als mir angenehm ist. Ins besonder rede ich euch bitts-weis an Erfahrne, der Natur wolkündige Kunstverwandte, denen vor allen anderen obligt die Beschaffenheit des Vatterlands, die Natur und Würckung unsers Lands, unserer Temperamenten, Krankheiten und Arzneyen zuwüssen und zu erforschen. Höret hievon unseren Altvatter Hippocratem de victus ratione Lib[er] 2. Sect[io] 4. Neque igitur solùm ipsius cibi & potus, & animalium ipsorun, sed & patriæ ex qua oriuntur, vim nosse oportet. Das ist: Nicht nur sol [ein Medicus] wüssen die Natur Speises und Trancks, sondern ins gemein die Krafft und Beschaffenheit des Vatterlands. Damit aber man noch klärer und deutlicher sehe, wie weit außsehend seye vorhabende Beschreibung der Natur des ganzen Schweizerlands, wie groß und häuffig die Anzahl wunderbarer Begebenheiten in demselben und wie nothwendig anderer Beysteur, ja viler begehrte Mit-Arbeit, habe nicht undienlich erachtet, gegenwertigem Brief anzuhencken einen special Catalogum, oder Rodel derjenigen natürlichen Quæstionen, welche zwar auf jedes Land komlich können appliciert werden, ins besonder aber auf die Gelegenheit, Beschaffenheit und Natur unsers Schweitzerlands gerichtet seyn, damit es aber nicht das Ansehen hab, als ob ich wolte die von anderen mit grosser Sorgfalt gesuchte und in Treuen ertheilte Sachen vor die meinigen außgeben, und also mit frömden Federen prangen, so verspriche ich alles dasjenige, welches namhafft und von anderen mir zugesendt oder relatiert worden, nicht unter meinen sonder der Authorum Nammen, ja auch nach gestaltsame der Dingen ihre eigne Wort meinen Schrifften einzuverleiben und mit der Zeit, so der Höchste das Leben gibt, ans Liecht herauß zugeben, wie dann ein jeder auß der bey sich habenden Abschrifft leichtlich ersehen können. Eine so gerechte aufrichtige und ehrliche Bitt wird verhoffentlich niemand übel aufnehmen, wie dann niemand der Wahrheit, dem Vatterland der natürlicher Wüssenschafften, kan abhold seyn.

Second paragraph omitted.

1 paragraphs omitted.

. Welches seye die Länge und Breite oder Polus Höhe eines jeden Orts?

. Wie der Luft beschaffen in verschidenen Orten des Schweizerlands, in underschidenlichen Abtheilungen oder Höhenen der Alpen und anderer hohen Bergen, sonderlich in Ansehung der Wärme, Kälte, Feuchte und Tröckne?

187 paragraphs omitted.

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