Klientelismus und Freundschaft – Die Korrespondenz zwischen Albrecht von Haller und Vinzenz Bernhard Tscharner
Herausgegeben von Raphael Germann, hallerNet 2019

Einleitung

“Unser Haller ist hin! Wir sehen noch sein bild; in seinen unsterblichen Schriften hören wir noch seine worte.”

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Diese Zeilen verfasste Vinzenz Bernhard Tscharner in einem Nachruf auf Albrecht von Haller. Die Lebenswege dieser beiden Berner kreuzten sich auf verschiedenen Ebenen immer wieder. Der 20 Jahre jüngere Tscharner war ein Übersetzer von Hallers Gedichten, später ein Verleger seiner Werke. Beide amtierten als Berner Magistraten und beteiligten sich als aktive Mitglieder in der Oekonomischen Gesellschaft in Bern. Innerhalb der Korrespondenz dieser beiden Patrizier tauchen diese Themen sowie private Angelegenheiten immer wieder auf.

Der Altersunterschied, die verschiedenen Erfahrungen und Einflussmöglichkeiten machen diese Bekanntschaft interessant. Hallers Familie war zwar regimentsfähig und regierungsfähig, aber ihr Einfluss in der Berner Politik blieb eher gering. Bei jeder Wahl drohte der Familie ein politischer und damit ein sozialer Abstieg. Tscharner stammte hingegen aus einer Patrizierfamilie, die in Bern politisch mächtiger war. In der Gelehrtenrepublik verhielt sich die Konstellation umgekehrt. Haller genoss eine internationale Reputation, von der Tscharner als Übersetzer und Verleger profitieren konnte. Durch diese multiple Rollen in den verschiedenen Sphären erscheint diese Beziehung sehr ambivalent.

War die eine Person von der anderen abhängig? Solche Verhältnisse erscheinen nicht immer offensichtlich. Bei Tscharner und Haller zeigt sich ein solcher Fall. Wenn eine Abhängigkeit besteht, durch was wäre diese bedingt? Zeigt es gerade dadurch auch ein Patronage oder ein Klientelismus? Wie erscheint das Verhältnis dieser beiden Herren? Existierte auch eine zweckmässige oder emotionale Freundschaft?