Klientelismus und Freundschaft – Die Korrespondenz zwischen Albrecht von Haller und Vinzenz Bernhard Tscharner
Herausgegeben von Raphael Germann, hallerNet 2019

Titel, Anreden und Grussformel

In frühneuzeitlichen Briefstellern wurde zwischen einer inneren und äusseren Anrede oder Titulierung unterschieden.

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Die innere Anrede umfasste die Erwähnung des Empfängers in der Begrüssung, innerhalb des Briefes sowie in der Courtoisie, damit ist der Abschluss des Briefes gemeint. Die äussere Anrede betraf die Briefadressierung.
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Elf Briefe in der untersuchten Korrespondenz weisen auf der Rückseite der Nachricht eine Adresse auf und besitzen somit eine äussere Anrede.
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Neun Adressen stammen von Briefen Tscharners, welche an Haller gerichtet waren. Haller hingegen setzte auf seine Tscharner zugestellten Briefe nur zwei Anschriften. Der Aufbau der Adressen erscheint fast immer gleich, Zuerst kommt die Anrede, anschliessend der Name, danach diverse Ämter und am Schluss der Bestimmungsort. Hierbei liegt der Schwerpunkt bei der Anrede auf dem simplen Monsieur. Haller verwendete in einem Brief den ehemaligen Amtstitel von Tscharners Vater eher zur Präzisierung für die Identifizierung, da sich Vinzenz Bernhard Tscharner gerade zu diesem Zeitpunkt im Ausland befand.
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Haller ist nicht nur sparsam mit Titeln bei anderen Korrespondenten, sondern auch bei sich selbst. So protestierte er gegenüber Tscharner, als er ihn in der Adresse mit Baron betitelte.
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Obwohl zu diesem Zeitpunkt Haller einen Adelstitel besass, wollte er offenbar von seinem Landsmann nicht damit betitelt werden.
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Gründe dafür liegen wahrscheinlich darin, dass der Grosse Rat von Bern bereits 1724 alle neuerworbenen fremden Adelstitel seiner Landsleute innerhalb des bernischen Territoriums als ungültig erklärt hatte. Nur die Titel, welche von der Berner Regierung vergeben wurden, zählten als legitim.
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Haller begrüsste in der untersuchten Korrespondenz Tscharner nur einmal mit einer schlichten Anrede Monsieur.
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Abgesehen von dieser Ausnahme begann er immer direkt mit dem Inhalt. Tscharner hingegen verwendete meistens noch eine kurze Anrede als Begrüssung, wie beispielsweise Monsieur oder Monsieur et tres honoré Patron.
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Nur in drei Briefen verzichtete er darauf und begann wie Haller direkt mit dem Inhalt. 1729 empfahl Johann Georg Neukirch in seinem deutschen Briefsteller, Academische Anfangs-Gründe, französische Anreden nur bei Verwandten, Bekannten und guten Freunden zu verwenden, da diese meistens unumständlicher erschienen als ihr deutsches Pendant. Zwar ist es naheliegend, dass bei Briefen in französischer Sprache wie bei Haller und Tscharner auch die Anreden in derselben Sprache verfasst wurden, dennoch erwähnte Neukirch spezifisch, dass das Monsieur, Madame oder Mademoiselle nur bei Freunden verwendet werden sollte.
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Im Gegensatz zu einer Begrüssung verwendeten beide in ihrer Korrespondenz bis auf zwei Ausnahmen immer eine Courtoisie. Der Briefschluss folgte ziemlich den Vorgaben an die zeitgenössischen Briefsteller. Diese bestanden aus drei Teilen. Erstens folgte ein Abschlusssatz.

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Zweitens wurde nochmals die Anrede des Empfängers verwendet, meistens dieselbe wie in der Begrüssung.
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Drittens erfolgte eine Submission, hierbei verwendeten Haller wie auch Tscharner die zeitgenössische Standardformulierung: “Votre très humble et très Obeissant Serviteur”
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. Anschliessend unterzeichnete der Absender den Brief mit seinem Namen. Wenn der Adressat hierarchisch eine höhere Position einnahm, sollte der Verfasser hierbei seinen Vor- und Nachnamen ausschreiben. In der Korrespondenz mit Verwandten und Freunden war es üblich, den Vornamen abzukürzen. Tscharner verwendete in der untersuchten Korrespondenz immer B. Tscharner, während Haller nur mit seinem Nachnamen unterzeichnete.
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Dass Haller keine Titel verwendete und auch in der Korrespondenz Tscharners mit Anreden äusserst sparsam umging, muss nicht unbedingt als Zeichen der Respektlosigkeit gedeutet werden. Im Gegenteil könnte dieses Vorgehen als eine gewisse Vertrauensbasis interpretiert werden. Bei der schriftlichen Kommunikation mit Christoph Jakob Trew bestand Haller in diesem kühlen Verhältnis allerdings in der Courtoisie auf seine Titel und Ehrungen.
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In der freundschaftlichen Korrespondenz mit Charles Bonnet hingegen versuchte Haller, seine Schlussformeln auch zu kürzen.
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