Klientelismus und Freundschaft – Die Korrespondenz zwischen Albrecht von Haller und Vinzenz Bernhard Tscharner
Herausgegeben von Raphael Germann, hallerNet 2019

Der Verlag

Die Oekonomische Gesellschaft profitierte davon, dass sie ihre Beiträge ab 1762 bei der Typographischen Sozietät publizieren konnte. Obwohl zu dieser Zeit in Bern bereits Buchhändler und –drucker existierten, stand die Buchproduktion im Vergleich mit anderen reformierten Städten wie beispielsweise Zürich, Basel, Genf oder Lausanne im Abseits. Die Einwohner von Bern sahen sich meistens gezwungen, ihre Werke in anderen Städten zu drucken, da diese Verlage kostengünstiger und schneller produzierten. Die ersten Beiträge der Oekonomischen Gesellschaft von 1760 und 1761 wurden deshalb noch bei Heidegger in Zürich publiziert.

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Mit einem zusätzlichen Verlag, welcher die Bücher nicht nur vertrieb, sondern diese auch produzierte, konnte eine gewisse Nachfrage in Bern gedeckt werden. Ein Teil des Patriziats und/oder eine intelektuelle Minderheit hatten somit die Gelegenheit, sich mit den neuesten Büchern zu versorgen. Auch die Möglichkeit, sich an “auswärtigen Debatten”
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zu beteiligen, wurde mit einer eigenen Druckerei und einem Verlag möglich. Bern konnte damit einen Platz in der Gelehrtenwelt des 18. Jahrhunderts einnehmen.
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Zwar existiert für die Anfangsjahre der Typographischen Gesellschaft kein überliefertes Firmenarchiv. Durch die Korrespondenz von Vinzenz Bernhard Tscharner ist aber erkennbar, dass er 1758 die notwendigen Schritte einleitete, um diese Sozietät zu gründen. Seine Motivationsgründe könnten vor allem darin liegen, dass er 1755 die Schriftsteller- und Buchhändlerstadt Leipzig besuchte.
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Gegenüber Haller erwähnte Tscharner auch merkantilistische Gründe, als er 1759 neben der Gesellschaft auch einen neuen Bücherladen in Bern gründete.
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Es gab schon Jahre zuvor in Tscharners Korrespondenz erste Anzeichen für sein Vorhaben, einen eigenen Verlag aufzubauen. In einem Brief an Johann Georg Zimmermann unterbreitete er diesem im Winter 1751/52 indirekt einen Vorschlag: Falls er keine Stelle finde, so könnte er ihm doch behilflich sein, um eine eigene Druckerei zu etablieren.
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Ein halbes Jahr später schlug Tscharner in einem Brief an Haller ein ähnliches Projekt vor.
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Dieser Plan wurde allerdings erst sechs Jahre später realisiert. Die integrierte Druckerei wurde schliesslich erst 1775 eröffnet. Vorher wurden die Werke meistens bei N.E. Haller und Co. oder bei Verlegern in Lausanne gedruckt.
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Aus Tscharners Briefen ist ersichtlich, dass er bei der Gründung der Typographischen Gesellschaft auch Unterstützung von Drittpersonen erhielt. In einem Brief an Zimmermann im Winter 1757/58 berichtete Tscharner, dass er und einige Mitglieder der Leist Conservatoire über ein Vorhaben gesprochen hätten, eine Gesellschaft zu gründen, die eigene Werke publiziert. Obwohl das erste Schriftstück, welches explizit die Teilhaber der Typographischen Gesellschaft erwähnt, erst aus dem Jahr 1774 stammt, können aus Tscharners Korrespondenz sowie weiteren Dokumenten schon für die erste Zeit der Typographischen Gesellschaft Teilhaber eruiert werden. Dazu zählten unter anderem Tscharners Bruder, Niklaus Emanuel, Emanuel Friedrich Fischer, Johann Rudolf Sinner

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und Samuel Kirchberger.
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Ein Brief Tscharners, welcher an Haller sowie wahrscheinlich an alle Beteiligten der Typographischen Gesellschaft gesendet wurde, verdeutlicht Tscharners Rolle als Initiant des Unternehmens. Obwohl Tscharner finanziell nicht von diesem Unternehmen abhängig war, bekam doch die ganze Gesellschaft im Vergleich zu anderen Sozietäten in Bern einen kommerziellen Charakter. Tscharner übernahm eine dominante Rolle bei diesem Unterfangen, indem er gegenüber den Gesellschaftern Bedingungen aufstellte.
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Im Gründungsjahr der Typographischen Gesellschaft sandte Tscharner einen weiteren Brief an Haller. Darin erwähnte er, dass Ludwig von Muralt ihm einen Brief von Daniel Bernoulli überreicht habe. Dieser unterstützte die Gesellschaft und ermöglichte Kontakte zu anderen Gelehrten und Übersetzern in Basel. Auch der gelehrte Kardinal Domenico Silvio Passionei interessierte sich für das Vorhaben.
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Die Typographische Gesellschaft begann im Januar 1758 mit dem Druck zweier Zeitschriften, Estratto della Letteratura europea und Excerptum Totius Italicae nec non Helvetiae Literature. Diese Publikationen wurden in italienischer respektive in lateinischer Sprache vertrieben und fanden grosse Zustimmung in der Gelehrtenwelt – auch südlich der Alpen.

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Tscharner erhielt bei der Produktion Unterstützung von Fortunato Bartolomeo de Felice.
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Haller beriet Tscharner und Felice bei der Auswahl der Schriften für die Estratto della Letteratura europea und wollte sich mit eigenen Rezensionen einbringen. Diese Kooperation verlief eher mässig.
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Es gab aber andere Projekten, bei denen die Zusammenarbeit besser verlief. Haller stand der Typographische Gesellschaft mit Rat- und Vorschlägen zur Seite und versorgte diese mit Beiträgen und Werken. Obwohl Tscharner bis zum Tod einer der bedeutendsten finanziellen Teilhaber der Typographischen Gesellschaft war, musste er seine verlegerische Tätigkeit ab dem Jahr 1764 in den Hintergrund stellen, da er in diesem Jahr in den Grossen Rat gewählt wurde. Gerade in diesem Zeitraum, als Tscharner Magistrat wurde und Haller nach Bern zurückkehrte, brach die Korrespondenz plötzlich ab. Die Tagesgeschäfte der Typographischen Gesellschaft übernahm ein gewisser Serini
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Publizierte Werke

Zwischen 1758 bis 1798 umfasst die Verlagsbibliographie der Typographischen Gesellschaft von Bern 175 verschiedene Publikationen. 26 Werke davon stammten aus der Feder von Haller.

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Damit stand dieser an der Spitze der verlegten Autoren der Typographischen Gesellschaft. Umgekehrt erscheinen die 26 eigenständigen Publikationen im Vergleich mit Hallers gesamtem publizierten Schriftwerk als recht klein.
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Obwohl die Verlagsproduktion in den Anfangsjahren noch bescheiden war,
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wurden bereits einige Werke von Haller zum Druck vorbereitet. So kam es zwischen den Korrespondenten zur Diskussion, ob eine Auswahl seiner Briefe publiziert werden sollte. Die verschiedenen Sprachen seiner Korrespondenz erschienen in Hallers Augen als eine Komplikation, worauf Tscharner entgegnete, dass dies kein Problem darstelle.
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Haller überreichte Tscharner auch eine Liste seiner bereits erschienenen Abhandlungen und Artikeln, welche für ihn ein gewisses Potential besassen um in Französischer Sprache gedruckt zu werden.
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Die beiden Korrespondenten berieten sich 1759 auch über eine Neuauflage von Hallers übersetzten Gedichten, welche schliesslich 1760 im Handel erschienen.
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Auch die Idee für eine italienische Fassung dieser Werke taucht in der Korrespondenz auf. Obwohl Haller mit den Übersetzungen von l’Abbé Soresi einverstanden war, wurden diese erst acht Jahre später in Yverdon gedruckt.
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Durch Neuauflagen tauchte aber auch die Frage nach dem Urheberrecht in der Korrespondenz auf. Tscharner bat in einem Brief um die Druckrechte von Albrecht von Hallers Bruder, Niklaus Emanuel. Albrecht von Haller vermutete, dass Tscharner wahrscheinlich Kurzer Auszug einer Beschreibung der Salzwerke in dem Amte Aelen publizieren wollte und stimmte zu.
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Dieses Werk erschien schliesslich erst fünf Jahre später in der Druckerei bei Albrecht von Hallers Neffen. Die französische Fassung wiederum wurde erst zwei Jahre darauf von einem Pariser Verlag publiziert.
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Neben diesen relativ kleinen Beiträgen ging es auch darum, wesentlich umfangreichere Publikationen von Haller zu drucken. Dieser bot Tscharner an, den Druck der Neuauflage des botanischen Werkes über die Schweizer Flora Enumeratio methodica stirpium Helvetiae indigenarum zu übernehmen. In der Korrespondenz erwähnte Haller, dass dieses Werk bereits 1742 in Göttingen bei Vandenhoeck erschienen sei, aber inzwischen existierte ergänzendes Material (vor allem Zeichnungen für Kupferstichplatten) sowie Korrekturen für eine erneute Publikation. Hierbei zeigte sich ein gewisses Geschäftsinteresse und die Korrespondenz nahm ab diesem Zeitpunkt den Charakter von Kaufmannsbriefen an. Tscharner stimmte dem Angebot zu.

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Die Neuauflage des Enumeratio, wahrscheinlich ohne die zusätzlichen Kupferstiche,
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wurde bereits von der Typographischen Gesellschaft 1760 und 1761 unter dem Titel Ad enumerationem stirpium helveticarum emendationes & auctaria publiziert. Auch andere Verleger produzierten Versionen dieses Werkes. So sind mindestens unter der gleichen Bezeichnung elf verschiedene Versionen von vier unterschiedlichen Verlegern bekannt.
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Die Typographische Gesellschaft publizierte 1768 Historia stirpium indigenarum Helvetiae inchoata, Hallers vollständig überarbeitetes Werk über die Schweizer Flora.
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Erst vier Jahre später folgte ein Nachdruck durch Hallers Bruder. Der Grund dafür lag wahrscheinlich in den Kosten und der Zugänglichkeit der angefertigten Kupferstichen von Johann Michael Seligmann aus Nürnberg.
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Ein weiteres Projekt waren die Elementa physiologiae. An diesem achtbändigen Werk beteiligten sich mehrere Druckereien und Verlage, dennoch verlief die Kooperation nicht immer reibungslos.
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Obwohl in der gesamten untersuchten Korrespondenz literarische Werke immer wieder eine Rolle spielten, nahm mit der Etablierung der Typographischen Gesellschaft dieses Thema eine andere Bedeutung an. Tscharners jugendliche Schwärmerei für Literatur scheint in den Hintergrund zu rücken, seine Beurteilungen von Gedichten oder anderen Werken fielen gegenüber früheren Briefen kürzer aus. Die Briefe zwischen Tscharner und Haller zeigten in der zweiten Phase (1758-1763) Tendenzen zu einer Art von Marktforschung. Nicht nur Hallers potentielle Publikationen, sondern auch die Werke von anderen Autoren wurden beurteilt. Tscharner fragte beispielsweise nach Hallers Meinung über das Gedicht Cyrus. Tscharner wollte dieses nicht drucken. Im März 1763 kontaktierte Johann Georg Zimmermann Tscharner und fragte, ob er nicht die Geschichte des Agathon publizieren möchte. Auch dieses Projekt von Christoph Martin Wieland lehnte Tscharner ab.

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Haller spielte für die Verleger als Vermittler in der Gelehrtenwelt eine wichtige Rolle. Beispielsweise schrieb er an Tscharner, dass ihn sein Freund Charles Bonnet gebeten habe, ein Werk des Mathematikers George Louis Le Sage zu drucken.
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Aber auch umgekehrt stellte Tscharner manchmal Werke vor: Beispielsweise Frances SheridansMemoirs of Miss Sidney Bidulph. Offenbar hatte Haller das Drama dieser Autorin nicht gelesen, dafür aber seine Frau.
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Noch weitere Werke wurden während dieser Zeit ausgetauscht, kritisiert oder einfach nur erwähnt. Scheinbar nebenbei bemerkte Tscharner, dass er den Guillaume Tell noch nicht gelesen habe.
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Diese anonyme und umstrittene Publikation dekonstruierte den eidgenössischen Tellmythos und verdeutlichte, dass es sich ursprünglich um eine dänische Sage handelte. Exemplare dieses Druckwerkes wurden beispielsweise in Altdorf öffentlich durch den Henker verbrannt. Der Autor sowie der Herausgeber dieses Buches, Uriel Freudenberger und Gottlieb Emanuel von Haller sind heute bekannt.
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Es erscheint suspekt, dass Tscharner im gleichen Brief einen Satz vorher Hallers Sohn, Gottlieb Emanuel, wegen der Übersetzungsarbeit für die Oekonomische Gesellschaft erwähnte.
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Hallers Reaktion auf dieses Schreiben ist nicht bekannt. Ungewiss ist auch, ob Haller wusste, dass sein Sohn dieses Werk verlegt hatte.