Auflösung der Verlobung
Als 1751 die Verlobung zwischen Albrecht von Hallers Tochter,
Marianne und
Vinzenz Frisching aufgelöst wurde,
erschien die Angelegenheit für Vinzenz Bernhard Tscharner relativ unangenehm,
da Frisching sein Freund war. Als dieser in Göttingen studierte,
sandte Tscharner die Neuigkeiten aus Bern für Haller an Frisching.
Während dieser Zeit wird in der Korrespondenz zwischen Haller und Tscharner Frischingsname abgekürzt.
Die Reduktion seines Namens erscheint als ein Zeichen der Verachtung.
In den Augen der Korrespondenten verdiente es die Person nicht einmal, erwähnt zu werden.
Sofern es in der vorhandenen Quellenlage ersichtlich ist,
war es Tscharner, der zuerst Frischings Name auf den Anfangsbuchstaben kürzte.
Dennoch schrieb er danach in der Korrespondenz mit Haller den Namen von Frisching in zwei Briefen bei der Ersterwähnung noch aus.
Die beiden Treffen mit Vinzenz Frisching, welche vor allem die Diskussion um die ehemalige Verlobung zum Thema hatten,
wird Tscharners Vermittlerrolle als Bekannter und Freund von Frisching und auch von Haller offenkundig.
Im Moment, als der politisch noch unmündige Tscharner aus Enttäuschung bemerkte,
dass seine Vermittlungsversuche bei der Auflösung der Verlobung nichts brachten, übergab er seinem
Vater dieses Anliegen.
Bereits im Schreiben vom 30. November 1751 bot er dessen Dienste an.
Ohne Hallers Antwort darauf abzuwarten, denn der Brief vom 4. Dezember 1751
erscheint als Antwortbrief unmöglich,
leitete Vinzenz Bernhard Tscharner weitere Schritte ein.
Genau wie eine Heirat zwei Familien verband, wurden diese durch eine aufgelöste Verlobung auch wieder entzweit.
Nicht nur Marianne wurde mit dieser Zurückweisung gekränkt, sondern in Hallers Augen war auch die Familienehre verletzt.
Haller erwog deswegen sogar, in Göttingen zu bleiben und nicht mehr nach Bern zurückzukommen.
Hierbei zeichnet sich eine Diskrepanz zwischen der Gelehrtenrepublik und der Berner Republik des 18. Jahrhunderts ab.
Republik Bern und Gelehrtenrepublik
Bei der Auflösung der Verlobung zwischen Vinzenz Frisching und Marianne Haller spielte nicht nur das unterschiedliche Vermögen,
In der Antwort von Tscharner am 25. Mai 1752
Obwohl Albrecht von Haller europaweit einen hervorragenden Ruf als Gelehrter genoss,
scheinen sein Einfluss und seine Stellung in Bern eher bescheiden gewesen zu sein.
Johann Georg Zimmermann, welcher auch Berner und der Verfasser von Hallers erster Biographie war,
festigte diese Ansicht.
In Deutschland, England,
Holland und Frankreich sei Haller bekannter als in seiner
Heimatstadt.
Wissenschaftliche Arbeit finde in Bern geringe Resonanz, sie gelte dort als verächtlich und lächerlich,
da sie scheinbar keinen Einfluss auf das Wohlergehen der Republik hätte.
Die Ursachen solcher Einstellungen der Elite in Bern gegenüber den Gelehrten glaubte Zimmermann darin zu erkennen,
dass die Einwohner Berns Geburt und Vermögen einen höheren Stellenwert beimassen als allem anderen.
Der Autor von Hallers Biographie scheint dabei auch aus seinen eigenen Erfahrungen berichtet zu haben.
Auch Johann Jakob Bodmer zeichnete ein ähnlich negatives Bild,
als er nach Hallers Tod an Samuel König schrieb,
dass die herrschenden Geschlechter der Republik Bern den überragenden Geistesgrössen mit Herablassung und Verachtung begegneten.
Dieses Bild wurde schliesslich auch mehrheitlich von der Geschichtsschreibung übernommen.
Als Haller an Tscharner schrieb, dass er den Geschmack seiner Berner Patrizier kenne
– vor allem den von Frisching – und dass er wisse, was diese von der Gelehrtenrepublik hielten,
schien auch er – zumindest in diesem Moment – ein sehr negatives Bild von seiner Heimatstadt zu haben,
zumindest was deren wissenschaftliche und kulturelle Seite betraf.
Rückkehr und Hochzeit
Trotz der Gegensätze sowie Gemeinsamkeiten respektive Verknüpfungen zwischen der Gelehrten- und der Berner Republik
musste sich Albrecht von Haller entscheiden, ob er seine akademische Karriere an der
Universität Göttingen
weiterverfolgen oder nach Bern zurück ziehen wollte, um seine politische Laufbahn zu fördern.
Als Haller am 27. September 1752 an Tscharner schrieb, erwähnte er zwar,
dass er im Frühling des kommenden Jahres für die Wahlen nach Bern reisen werde,
aber dass es ungewiss sei, ob er in seiner Heimatstadt bleiben oder nach Göttingen zurückkehren werde.
Die meisten Punkte, welche für einen Verbleib in Göttingen sprachen,
betrafen vor allem Wissenschaftsprojekte respektive die Gelehrtenrepublik.
Neben Hallers Funktion als Magistrat und Gelehrter offenbart sich auch eine zusätzliche Rolle in diesem Brief,
nämlich jene des Familienoberhaupts.
Falls er in Göttingen blieb und seine politischen Pflichten in seiner Heimat vernachlässigte,
riskierte Haller nämlich den Ausschluss seiner Nachkommen aus dem Berner Regiment.
Es handelte sich also nicht nur um einen Entscheid zwischen einer akademischen und politischen Laufbahn,
sondern auch um einen Entscheid, der die politische Zukunft seiner Familie in hohem Masse betraf.
Wenn Haller an Tscharner schrieb, dass er noch einige Jahre der Wissenschaft widmen wolle,
zumindest seine angefangenen Projekte beenden und erst später seinen Lebensabend auf einer lukrativen Vogtei verbringen möchte,
vertraute er ihm somit seine Wünsche an.
Auch das Schicksal seiner Tochter bezog Haller offensichtlich in seine Entscheidung über eine eventuelle Rückkehr nach Bern mit ein.
In Göttingen warben inzwischen fünf Männer um Mariannes Hand.
Die erfolglosen Heiratskandidaten sind nur fragmentarisch bekannt, zum Teil schienen es auch nur Gerüchte gewesen zu sein.
Erst mit dem von Marianne und Albrecht von Haller unterschriebenen Ehevertrag,
der am 14. Dezember 1752 nach Bern zurückgesendet wurde,
schien für Haller die kommende Hochzeit seiner Tochter sicher zu sein.
Am 20. Dezember 1752 informierte er seinen Freund Johannes Gessner und
Vinzenz Bernhard Tscharner über die Verlobung und seine bevorstehende Reise nach Bern.
Aus den beiden Briefen wird klar, dass Haller im Frühjahr 1753 für die Hochzeit seiner Tochter sowie für die Wahlen nach Bern reisen würde.