32.1 Graffenried, Emanuel v. (1692-1737)
Zeitraum | Anzahl Einträge | Beschwerden, Befunde, Diagnosen |
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1736 | 6 | Geschwür der Blase, Blasenstein? |
Beteiligt: Briefliche Konsultation von Herman Boerhaave (1668-1738), Medizinprofessor in Leiden
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Publikation und Korrespondenz
Hallers Publikation
Haller, A. (Hrsg.), Consultationes medicae sive sylloge epistolarum cum responsis Hermanni Boerhaave in Britannia primum editae nunc aliquot exemplis auctiores ... Gottingae 1744, Vol. II, p. 79-81 (Bibl. Hall. 1093); Editio Gottingensis altera aucta et emandata, Gottingae 1752, Vol. II, p. 18 f. (Bibl. Hall. 1095).
5. Fall
E[manuel] von G[raffenried], Herr zu G[erzensee], über 30 Jahre alt, hatte im Jahre 1729 Kolikschmerzen zuerst so ziemlich in der Leiste verspürt. 1731 hatte er an Harnverhaltung gelitten mit stärkstem Schmerz. Mit dem Katheter wurde der schmerzhafte Ort untersucht, darauf waren Eiter und Blut. gefolgt. Ich zog daraus den Schluss, dass es ein Geschwür der Blase war.
Mit Quecksilber, oft auch mit starken Medikamenten nahmen die Chirurgen die Sache in Angriff; enorm gesteigerte Schmerzen zwangen jedoch, davon abzustehen. Die Wässer von Plombières gebrauchte er mit Nutzen. Jene von [Roche-]Pouzay, die scharf und salzig waren, trank er mit übler Wirkung.
Als ich im Jahr 1736 am 12. Februar gerufen wurde, fand ich den Urin grünlich, trüb, wie wenn er mit Mehlstaub vermischt wäre; er löste ihn öfters und ohne Schmerz, mit ganz feinem Sand. Der Geruch glich säuerlichem, verderbendem Wein. Den Katheter gebrauchte der Chirurg in meiner Abwesenheit (und) bemerkte eine gewisse Härte. Harnverhaltung bestand nicht, auch nicht ein Reiben des Penis, doch Jucken des Afters. Erleichterung (hatte er) von weichen (Mitteln), von Gummi arabicum, von der Laxation, die durch Manna erfolgte.
Der Waffenstillstand dauerte jedoch nur kurz, der schmerzhafte und scharfe Urin kehrte zurück, ganz voll von elastischer Luft und schleimigem Sediment, ebenso der Lendenschmerz. So tobte sich der Anfall aus, doch nach zehn Tagen kehrte wie üblich ein heftiger Anfall zurück, mit enormem Harnzwang (Strangurie) und Schmerz. Ich konsultierte Boerhaave. Er antwortete im März, betr. einen Stein sei es nicht klar, es seien einzig ganz gelinde Mittel anzuwenden. Die Untersuchung mit dem Katheter lehnte der Kranke nämlich beharrlich ab, allzu sehr eingedenk der Schmerzen, die er davon erlitten hatte.
Mit meiner Mahnung erreichte ich, dass der Kranke selbst sich nach Leiden begebe, um in Gegenwart Boerhaaves Hilfe zu erlangen. Dort war er matt und nahm beinahe einzig Medikamente, die das Geschwür der Blase betrafen.
Als er aufs äusserste gelangt schon fast mit dem Tode rang, rief seine edle Gattin im Februar 1738 - wenn ich nicht irre -, den Chirurgen DENYS, der Boerhaave wenig gewogen war. Dieser sagte, der Kranke, den er kaum recht angeschaut hatte, leide fortwährend am Stein; er sagte, dies stehe für ihn fest auf Grund der Krümmung der Lenden des einherschreitenden Kranken. Er wandte den Katheter an, nachdem der Patient schliesslich seine Erlaubnis gegeben hatte, ertastete einen Stein (und) bestimmte dessen Grösse mit der eines Eies. Zwei Tage nach dieser Vorhersage wurde der Kranke ausgelöscht. DENYS drängte auf die Besichtigung der Leiche, er eröffnete die Blase, fand einen zusammengedrückten Stein jener Grösse, die er genannt hatte, wechselnd von schwarz und aschgrau. Als der Chirurg dem unschuldigen BOERHAAVE die Ursache des Todes zuschrieb und versicherte, der Kranke hätte gerettet werden können, wenn er die Operation zugelassen hätte, gelangte man schliesslich zu den Nieren; diese wurden geschwürig gefunden, und einer der Umstehenden verglich entnommenen Eiter mit dem Schleim, der sich im Urin jeweils zu Boden gesetzt hatte, und fand ihn überaus ähnlich. So wurde der Ruf des GROSSEN MANNES wiederhergestellt, der wirklich den Eiter erkannt hatte als Erzeugnis des Nierengeschwürs, den Stein hatte er, vom Patienten gehindert, nicht ertasten können. Diese (Angaben) (stammen) aus einem Brief, der mir im März 1738 von Leiden zugesandt wurde [Brief von Daniel Hürner, siehe unten].
(In der Bibliotheca chirurgica (1, S. 585) (Bibl. Hall. 1089) und in der Bibliotheca Medicinae practicae (4, S. 157) (Bibl. Hall. 1091), fasst Haller den Fall in einem einzigen Satz zusammen. – Die Schriften von Jacob Denys (1681-1741), „chirurgus, lithotomus & publicus obstetrix“ in Leiden, „probe mihi notus“, werden in der Bibliotheca chirurgica (II, S. 136 f.), gewürdigt.
Boerhaaves Antwort an Haller, Leiden 15.3.1736
Regionaal Archief (vormals Gemeentearchiev) Leiden
Repertorium 1, S. 51, Nr. 110
Epistolarum ab eruditis viris ad Alb. Hallerum scriptarum Pars I. Latinae Vol. I, Bernae 1773, (Nr.) 122, p. 265 f. (Bibl. Hall. 1431)
Lindeboom, G.A. (Ed.), Boerhaave's Correspondence, Part two, Leiden 1964, S. 20-23 [mit Lesefehler: „uno tuerint“, statt – wie in Ep. lat. 1773 – „innotuerint“] (Bibl. Hall. 1481) (Übers. UB).
Dem berühmten, edlen Mann Albrecht Haller, Arzt, (von) H. Boerhaave
Erfreut habe ich (den Brief) erhalten, den Du mir gesandt hast, da er mir Gewissheit gibt, dass Deinen Verdiensten ein besseres Glück entspricht, dieses wird Dir GOTT reicher machen. Auch zweifle ich nicht, dass das Übrige gelingen wird, da ja Deine Gaben schon durch glückliche Erfolge bekannt geworden sind: Scharfsinn, Fleiss, Weisheit und seltene Tugend. An das Honorar, das du erwähnt und durch einen Wechsel hast überweisen lassen, habe ich gar nicht gedacht. Ich würde es sehr bedauern, wenn, indem Du den Genius betrügst (und) es von dem (Dir) Zugemessenen ersparst, selbst arm bliebest. Die besten Namen sind es, die – nicht gedrängt – sich (ihrer Verpflichtungen) entledigen. Mir hat GOTT mehr als genug gewährt. Die Geschichte der Krankheit habe ich überdacht; und davon erhalte hier, was ich zusammengestellt habe; dieses wirst Du weislich ganz frei verbessern als vertrauter Arzt, dazu viel besser in der Lage als ein Fremder.
Leb wohl! Leiden 15.3.1736
Gabriel Hürners Brief an Haller, Helmstedt, 31. März 1738
BBB, N A v Haller, Korr. Hürner (ehemals Mss. hist. helv. XVIII. 3 (Nr. 16)
Repertorium 1, S. 255, Nr. 492
Gabriel Hürner(1709-1750), immatrikuliert am 20. Aug. 1737 in Helmstedt, 1740-1745 Helfer an der Nydegg-Kirche in Bern, 1745 Helfer, 1749 Pfarrer am Münster, Mitgründer und Sekretär der Deutschen Gesellschaft in Bern, Anhänger Gottscheds. – Am 14.4.1736 erhielt er von der Berner Kanzlei einen Pass nach Holland: „H. Cand: Hürner nacher Holland zu reißen ein paß . . . ad form.“ (RM 150, S. 369)
Beilage zum Brief, Hand von G. Hürner:
„Copie du recit touchant la mort de Msr. ***
[r] Madame voyant Monsieur son Epoux a l'extremité, sans le consentiment de mr Boerhave fit venir l'operateur Den Eys, ennemi implacable du dit Professeur; Den Eys aprochant le malade dit, que Monsieur avoit la pierre, que tous les Symptomes le donnoient a connoitre, en ce qu'il se courboit et penchoit toujours en avant; de concert avec le malade et Madame son Epouse il le sonda, toucha une pierre, et predit, qu'elle sera de la grandeur d'un oeuf; - La mort survint deux jours ensuite, et on fit ouvrir le corps. Mr le Professeur Boerhaave avec d'autres medecins furent invités d'assister. Aucun ne comprend, et il n'y eut personne auprès qui etoit en etat, comme il faut, d'examiner le cas tel qu'il le meritoit. Le lendemain les medecins ne venant point, l'operateur charmé de cela, poursuivit l'ouverture, va a la vessie et tire une pierre de la grandeur et de la forme d'un oeuf, pressé en plat; wie ein dicker schleuderstein; elle etoit aussi marbré de couleur ordinaire et noire; l'operateur dit, que de mille pierres il n'avoit pas vu une semblable, que le noir signifioit la vieilesse, et le brulé. Jusqu'a la le dit operateur triomphoit sur Monsr. Boerhaven, d'autant plus, que la vessie et toutes les parties etoient aussi saines, qu'elle(s) pouvoient etre suivant la situation de son etat; de la on monte a visiter les rains ('), le gauche etoit endomagé d'ulceres, mais celui du coté droit plus: Un des assistan(s) prit un cuiler et puisoit dans des ulceres le liquide qu'il y eut, qu'on a trouvé etre le même eau, que la vessie lachoit. L'operateur ne fit pas grand bruit la dessus, et traita le mal de reins pour peu de choses; il se contenta de dire, que Mr. Boerhaven etoit la cause de sa mort, pour ne pas l'avoir fait tailler lorsqu'il vint icy, et qu'il avoit encore ses forces. Ces discours se rependit Par toute la ville au desavantage de Mons. Boerhaven. Je ne decide pas, si l'operateur a dit vrai, ou s'il l'a fait pour se venger de Mr. Boerhaven, de ce qu'il a manqué de gagner une couple de mille florines. Je laisse encore indecis, quand meme le defunt eut eté taillé de la pierre, si on auroit (') pu ensuite lui guerir les rains - les gens qui pretendent avoir connoissance de la chirurgie, jugent que l'apparence la plus naturelle est, qu'une ou [v] deux pierres se soient formés aux rains, et descenda en gros sable dans la vaissie, ou elle se formoit pierre par l'accroissement du tem(p)s, que la descente blaissant (') les rains, causerent le commencement des ulceres, et que l'eau ayant eté trouvé aux rains pareille a celle de la vessie, Mons. Boerhaven n'etoit pas a blamer, vû qu'il avoit toujours travaillé sur une ulceration, en voyant que la douleur etoit a l'endroit, ou elle fut, il crut, que l'ulceration dans la vessie, en quoi il s'etoit trompe; et supposant les ulceres dans la vessie, il ne l'avoit pas fait sonder, crainte de la blesser. - Monsieur Boerhaven dit, qu'il en avoit parlé au commencement, et qu'on lui allegua, que Mr. de Graffenried ait eté sonde plusieurs fois, que preuve de cela on trouvera dans la consulte envoyée a Berne de l'avoir ordonée.“
Weitere Belege
Behandlung durch den Chirurgen Gross
18.1.1734: Im Bott der Chirurgischen Sozietät vom 18.1.1734 statten die Chirurgen Wagner und Küpfer ihren Bericht ab, u. a. wegen „[...] eineß frömden Teütschen Nahmens Groß [...], welcher MnwgH.rn Oberherr von Graffenried von Gertzensee tractieren thut“. Im Bott wurde „[...] Erkent und geschlosen, daß er Groß, weilen selbiger vorgäben, daß Er in particular zu ihme Herren von Graffenried denselben zu curieren vociert worden seye welches MnwgH.rn in so weith ignorierten, nach endigung vorgäbner Cur besag Oberkeiltichen Mandato so ihme Herren von Graffenried auch eingeschickt werden soll, gleich von hier / als nicht ein passierter Meister weggbegäben soll.“ (BBB, XXXIX 1.3, S. 137 f.)
Pass nach Plombières
17.5.1734: „Hrn von Graffenried von Gerzensee nacher plombiere ze reisen Ein pass ad form.“ (RM 143, S. 326). – Am 19.5.1734 erhalten auch Bernhard v. Graffenried (1684-1747, vR 76 (?)) und Gottlieb Tschiffeli (1700-1761, vR 30(?)) für die Reise nach Plombières einen Pass (RM 143, S. 345). [vgl. RM 148, S. 98, 28.7.1735: Pass für Hrn. Steiger von Monnaz nach Plombières (Niklaus Sigmund Steiger, 1702-1742, schw. vR 25, ⚭ Erbin von Montricher und Monnaz]
Behandlung durch den „Arzt“ Dominicus Frankelser
9.2.1736: „H. Frankelser, Doctor Medicinae von Mengen in dem Schwabenland ist zugelaßen in allhiesiger Haubt-Statt sich auffzuhalten in so lang H. OberHerr von Graffenried von Gertzensee Seiner werde bedürfftig sein, deßen Jhme H. OberHerr selbsten deß Frankelsers Statt-Einwohnungs-Bewilligung zuzustellen Erkennt [...]“ (Manual der Burgerkammer, BBB, VA BK 824, S. 291).
Pass nach Leiden
23.4.1736: Pass zu Reise nach Leiden: „Herrn von Graffenried von Gerzensee an aüßern orth sich zu begeben, ein Paß ad formam“ (RM 150, S. 470).